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05.11.2015

Wahlausgang der Türkeiwahlen – Ein schwarzer Tag für die Demokratie

Gestern – einen Tag nach dem Reformationstag – wurden die Bürgerinnen und Bürger der Türkei zur wiederholten Wahl eines neuen Parlaments aufgerufen.


Nachdem die AKP bei der letzten Wahl am 7. Juni die absolute Mehrheit im Parlament verfehlt hat, die für eine Verfassungsänderung nötig wäre, tat sie alles Erdenkliche, um eine Wiederwahl zu forcieren. Denn beim ersten Wahldurchgang hatte die linksliberale pro-kurdische HDP mit 13,1 Prozent die Zehn-Prozent-Hürde geknackt und konnte somit 80 Sitze besetzen. Staatspräsident Erdoğan forderte daher das Volk mit der Neuwahl nach eigener Aussage auf, “den Fehler vom 7. Juni zu korrigieren.”

Bis zu den Neuwahlen überschatteten allerdings gewältige Angriffe den Wahlkampf und so gipfelten die Anschläge in einem Doppelanschlag in Ankara, bei dem über 100 Menschen mit dem Leben bezahlen mussten und Hunderte verletzt wurden. Mit diesem Hintergrund wählten die Türken erneut ihr Parlament und diesmal erreichte die AKP-Regierung die absolute Mehrheit mit knapp 52 %. Für die AKP und Staatspräsident Erdoğan ist dieses Ergebnis ein Sieg, auch wenn seine Mission, ein Präsidialsystem mit mehr Macht für das Staatsoberhaupt einzuführen, letztendlich scheiterte. Für die Demokratie dagegen ist der Wahlausgang eine erschütternde Niederlage.

Antidemokratische Strukturen in der Türkei werden weiter fortbestehen
In der Türkei herrscht nach wie vor eine von internationalen Menschrechtsorganisationen wie auch dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gleichermaßen verurteilte Staatspolitik gegenüber religiösen und ethnischen Gemeinschaften, Verletzung der Presse- und Versammlungsfreiheit und Diskriminierung. Diese Politik wird von der AKP-Regierung auch sicherlich in der Zukunft weiter fortgesetzt. Und so wird sie die Assimilation unter anderem von alevitischen, kurdischen und christlichen Gemeinschaften fortführen und auch weiterhin nicht akzeptieren, dass die Türkei ein kulturell und national heterogenes Land ist.

Auswirkungen des Wahlergebnisses und der AKP-Ideologie in Deutschland – Nährboden für nationalistisch-islamistische Kräfte
Während der türkische Staatspräsident Erdoğan keine Gelegenheit auslässt, Türkeistämmige vor einer möglichen Assimilation und Vereinnahmung durch die Staaten, in der sie leben, zu warnen, verharrt seine eigene Politik mit zunehmender Tendenz in einer menschenrechtsverletzenden Haltung gegenüber religiösen, kulturellen und ethnischen Gemeinschaften. Diese bewusst politisch-ideologische Strategie der Türkei ist der Nährboden für nationalistisches und islamistisches Potential nicht nur in der Türkei selbst, sondern auch hierzulande. Der starke Einfluss aus der Türkei auf viele in Deutschland lebende Migrantinnen und Migranten führt seit Jahren zu einem Erstarken von nationalistisch-islamistisch gerierenden Kräften. Dies konzentriert sich auf einen idealistischen Nationalismus, der stark von einem Überlegenheitsgefühl “der Türken” ausgeht und ethnische, religiöse und kulturelle Gemeinschaften als minderwertig darstellt. Erdoğans Ideologie wird daher auch hierzulande nationalistisch-religiöse Überlegenheitshaltungen stärken.

Ein Land wie die Türkei, das von Deutschland die Erinnerung an Mölln und Solingen stets einfordert, jedoch die Erinnerung an eigene Verbrechen an Angehörigen der alevitischen, armenischen Gemeinschaft usw. – wie beispielsweise die Porgrome in Dersim, Maraş, Çorum, Sivas, Gazi – bis heute vehement verweigert, hat in der europäischen Wertegemeinschaft nichts verloren. Die Türkei widerspricht mit ihrer Politik den Grundwerten einer modernen und demokratischen Gesellschaft. Denn im Gegensatz zu autoritären Regierungssystemen erkennen wahrhafte Demokratien den gleichen Wert und die gleichen Rechte aller Bürgerinnen und Bürger an. Der deutsche Staat und seine Repräsentanten sollten dies bei einer neu geführten Debatte um die EU-Mitgliedschaft bedenken.

 

Für Fragen:

Melek Yıldız (stellv. Generalsekretärin)
E-Mail: melek.yildiz (at) alevi.com