Aleviten müssen sich vom sunnitischen Islamunterricht befreien lassen dürfen
Die Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. (AABF) begrüßt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Religionsunterricht in der Türkei.
Türkische Aleviten hatten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) für das Recht gestritten, ihre Kinder vom obligatorischen Islamunterricht in der Türkei befreien lassen zu können, weil der türkische Staat sich weigere, die alevitische Lehre neben der sunnitischen in seinem Lehrplan zu berücksichtigen. Der EGMR gab den Klägerinnen und Klägern nun Recht und verpflichtete die türkische Regierung dazu, im türkischen Schulsystem die Möglichkeit zu schaffen, sich auch ohne Offenlegung der religiösen Zugehörigkeit vom Religions- und Ethikunterricht befreien zu lassen.
Melek Yıldız, stellvertretende Generalsekretärin der Alevitischen Gemeinde Deutschland, begrüßt dieses Urteil:
„Das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs ist längst überfällig und sehr zu begrüßen. Wir dürfen die Missachtung von fundamentalen Menschenrechten nicht länger hinnehmen. Die Politiker der EU-Mitgliedsstaaten müssen gemeinsam mit den Abgeordneten des Europäischen Parlaments die Probleme hinsichtlich des Minderheitenschutzes angehen. Die Diskriminierung von Angehörigen religiöser Minderheiten muss ein Ende haben und die Religionsfreiheit muss verwirklicht werden, so wie es die europäischen und die internationalen Abkommen vorsehen. Die Türkei hat sich schließlich zu deren Einhaltung verpflichtet.“
Bis heute sind die Aleviten in ihrem originären Heimatland keine anerkannte Religionsgemeinschaft. Vielmehr verschweigt der türkische Staat der Weltöffentlichkeit die Existenz der 20 Millionen Alevitinnen und Aleviten, indem er seine Bevölkerung als türkisch und zu 99% islamisch bezeichnet, entgegen der kulturellen, ethnischen und religiösen Vielfalt im Land.
Seit der Gründung der türkischen Republik wird vielmehr der sunnitische Islam konsequent gefördert und das Alevitentum systematisch bekämpft. Viele Alevitinnen und Aleviten wurden in der Folge assimiliert und dieser Prozess setzt sich bis heute fort. Als Unterzeichner der Europäischen Menschenrechtskonvention hat sich die Türkei jedoch verpflichtet, ihren Bürgerinnen und Bürgern freie Religionsausübung zu garantieren, keinen religiösen Zwang auf sie auszuüben und sie nicht aus religiösen Motiven zu diskriminieren.
Hierzu erklärt Yılmaz Kahraman, Bildungsbeauftragter der Alevitischen Gemeinde Deutschland:
„Die Türkei sollte sich ein Beispiel an Deutschland nehmen. Hier in Deutschland, wo unsere Gemeinschaft etwa 700.000 Menschen umfasst, wurden wir als Glaubensgemeinschaft bereits 2007 staatlich anerkannt. Hier ist der Alevitische Religionsunterricht in deutscher Sprache (ARU) ein eigenständiges Unterrichtsfach und dem katholischen und evangelischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach gleichgestellt. Rund 1.500 Kinder alevitischen Glaubens haben bereits die Freiheit, sich in der Schule mit ihrem ureigenen Glauben und seinen Lehren auseinanderzusetzen. Wir können und dürfen nicht hinnehmen, dass den 20 Millionen Alevitinnen und Aleviten in der Türkei, einem Mitglied des Europarats und Unterzeichner der Europäischen Menschenrechtskonvention, diese Rechte und Freiheiten verwehrt bleiben.“
Für Fragen und weitere Auskünfte:
Melek Yıldız (Stellv. Generalsekretärin)
Tel.: (0221) 94 98 56 0
E-Mail: melek.yildiz@alevi.com
Yılmaz Kahraman (Bildungsbeauftragter)
Tel.: (0221) 94 98 56 0
E-Mail: yilmaz.kahraman@alevi.com